13.04.2023 | Verein

„The Voice“ ist für immer verstummt

Abschied von Dieter Bierbaum

Fortuna trauert: Der ehemalige Stadionsprecher, Dieter Bierbaum, ist am Mittwochabend nach langer schwerer Krankheit im Alter von 80 Jahren in Düsseldorf verstorben. Damit verliert der Verein eine unvergleichliche und hochgeschätzte Persönlichkeit, die den meisten vor allem durch ihre jahrzehntelange Tätigkeit als Stadionsprecher bekannt war und daher voller Respekt „The Voice“ genannt wurde.

  • Foto: Horstmüller

Mit Superlativen sollte man sparsam umgehen, denn sie nutzen sich leicht ab. Doch „The Voice“, konnte eine rot-weiße Vita aufweisen, die ihresgleichen sucht. Mit größter Leidenschaft begleitete er die Fortuna am Mikrofon im Rheinstadion in über 600 Spielen und avancierte über die Jahrzehnte zum Dienstältesten unter allen Stadionsprechern Deutschlands.
 
Überhaupt war seine Treue einzigartig, denn bereits in jungen Jahren, im Februar 1956, war Dieter Bierbaum der Fortuna beigetreten. Diese Verbundenheit zur Fortuna war dabei keineswegs selbstverständlich, kam er doch aus Osterode am Harz. Nachdem sich seine Eltern jedoch für eine Übersiedlung ins Rheinland entschieden hatten, beschloss Dieter mit 13 Jahren, seine Liebe zum Fußball mit dem Eintritt in Düsseldorfs renommiertesten Club, die Fortuna, zu untermauern.

Seine Karriere, als Jugendlicher und später bei den Amateuren, verlief eigenen Angaben zufolge „eher unspektakulär“, doch entstand eine emotionale und unverbrüchliche Verbundenheit für sein ganzes Leben. Über 67 Jahre war er Mitglied bei den Flingeranern.
 
Beruflich machte Bierbaum bereits ab den Sechzigern eine große Karriere. Schon bald nach einer abgeschlossenen kaufmännischen Ausbildung war er in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn auf höchster parlamentarischer Ebene beheimatet – als persönlicher Referent von Erich Mende, dem Vorsitzenden der FDP und damaligen Vizekanzler der Bundesrepublik.

Die nächste herausragende Aufgabe folgte Anfang der Siebziger, als Bierbaum zum Organisationsleiter des Weltmeisterschaftsbüros in Düsseldorf ernannt wurde. Als das Turnier lief, stand er in der Mitverantwortung bei den bedeutsamen Spielen der deutschen Nationalmannschaft im Rheinstadion in der zweiten Finalrunde, die durch Siege gegen Jugoslawien und Schweden wichtige Etappen auf dem Weg zum WM-Titel wurden.
 
Das Rheinstadion sollte ohnehin Bierbaums zweites Wohnzimmer werden, denn er übernahm dauerhaft das Mikrofon in der „Schüssel“ und gab 34 Jahre lang den guten Ton an. Sein Debüt hatte er als Stimme aus dem Hintergrund noch am Flinger Broich gegeben: am 21. August 1971 beim ersten Heimspiel der Fortuna als Bundesliga-Rückkehrer gegen Hannover 96 (2:0). Waren die Spiele abgepfiffen, moderierte Bierbaum auch die später obligatorischen Pressekonferenzen im Anschluss.
 
Seine Urlaube plante er nach dem Saisonkalender und selbst eine schwere Erkältung war noch lange kein Grund, einmal auszusetzen. „Ganz nebenbei“ war er phasenweise auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Fortuna zuständig – Pionierarbeit in jener Zeit. Er belieferte die Stadionzeitung „Fortuna Echo“ mit Artikeln, um 1970 eine Runderneuerung des Blattes vorzunehmen – inklusive neuem Titel „Fortuna Aktuell“, der bis heute, mehr als fünf Jahrzehnte später, Bestand hat.
 
Als er im März 2004 von Journalisten auf seinen bevorstehenden 600. Pflichtspiel-Einsatz angesprochen wurde, wirkte Dieter Bierbaum nur scheinbar überrascht. „Ich habe irgendwann einmal aufgehört mitzuzählen“, meinte er fast lakonisch. „Es dürften aber insgesamt ein paar mehr Partien gewesen sein.“

„Ein paar“ bezog sich auf eine kaum mehr nachvollziehbare Anzahl an Pokal-, Freundschafts- und sogar Auswärtsspielen, zu denen er ausdrücklich eingeladen war, die in seine Bilanz mit einfließen würden. Dass er zudem auch bei Borussia Dortmund, VfL Bochum oder Schalke 04 gelegentlich aushalf oder auch beim Handball zu hören war, ist in dieser Auflistung gar nicht berücksichtigt.

Denn mit seiner einzigartig-angenehmen Stimme wählte Bierbaum seine eigene Art der Ansprache und wahrte damit stets die Etikette: Andere Stadionsprecher machten bloß Durchsagen – Dieter Bierbaum machte Ansagen. Dafür erhielt er seinerzeit sowohl von der Fortuna als auch vom Fußballverband Niederrhein die Goldene Verdienstnadel.
 
Vergleicht man die Statistik Dieter Bierbaums mit einem Spieler, so hätte seine Einsatzzeit fast 19 Jahre bei ein und demselben Verein betragen. Das wären ca. 60.000 Spielminuten gewesen – ohne Nachspielzeit.

Bierbaum verlas in seiner Zeit Mannschaftsaufstellungen mit ca. 11.000 Spieler- und knapp 2.200 Schiedsrichternamen. Unschätzbar ist überdies die Anzahl der Werbeblöcke in den Halbzeitpausen, die, in Ermangelung von heutzutage großformatigen Videowalls, weniger zu sehen als zu hören waren.

Mindestens 650-mal kam der Hinweis auf das nächste Heimspiel der Fortuna – davon überwiegend Partien, die in Deutschlands höchster Klasse, der Bundesliga, absolviert wurden.

Unvergessliche Spiele gegen Spitzenmannschaften, vor allem Siege wie gegen den Rekordmeister FC Bayern München. Und so war Bierbaum natürlich auch „beim unglaublichen 7:1 der Fortuna“ der Mann in der Sprecherkabine – das Spiel, das bis heute als „Meilenstein der epischen Niederlagen der Bayern“ gilt. Oder bei dem 6:5 im Sommer 1975 („Ein lauschiger Sommerkick, bei dem es für beide Vereine um nichts mehr ging, aber der den Zuschauern eine große Freude bereitete“) oder dem 3:1 im DFB-Pokal gut zwanzig Jahre später.
 
Dass Dieter Bierbaum ausgerechnet vor einem Spiel gegen den Rekordmeister im Januar 2005 seinen Rücktritt bekanntgab, grenzt an Tragikomik. Doch er brach darüber nicht mit Fortuna, denn „seine Liebe“ aufzugeben, daran hatte er nie gedacht. Zu „rot-weiß“ war sein Leben, in dem er über die Jahrzehnte zeitweise auch Vorstandsverantwortung übernommen hatte, im Beirat und bis zuletzt im Ehrenrat tätig war – mit gewichtiger Stimme, scharfsinnigen Einschätzungen und klugen Ratschlägen. Der Träger der Diamantenen Ehrennadel war eine Institution der Fortuna und auch fast 20 Jahre nach seinem letzten Einsatz als Sprecher überaus beliebt bei Alt und Jung.
 
Doch bei aller Popularität, die er bei Fortuna genoss, wusste Dieter Bierbaum sein Privatleben für sich zu bewahren. Wie er sich auch Intrigen, Tratsch und Klatsch verweigerte, denn extrovertiert war Dieter Bierbaum nur scheinbar. Vielmehr war er viel zu sensibel, als dass er sich an vorsätzlichen Verletzungen hätte beteiligen wollen. Und eine weitere Facette, um die er nie großes Aufheben gemacht sehen wollte, ließ auf seine tiefgründige Empathie schließen: Nachdem Fortunas Nationalspieler Erich Juskowiak 1983 im Alter von nur 56 Jahren plötzlich verstorben war, übernahm Dieter Bierbaum über lange Jahre die Pflege des Grabes seines früheren Idols auf dem Waldfriedhof in Ratingen-Lintorf.
 
Nach seiner Sprecherzeit war Dieter Bierbaum, wann immer möglich, bei den Spielen der Fortuna dabei. Und dabei freute er sich, dass der Verein endlich in ruhigeren Fahrwassern angelangt war.

Mit den Jahren wurde er dabei noch reflektierter, allerdings auch nachdenklicher. Denn nicht nur der Fußball, sondern auch die Fortuna hatten sich in seinen Augen verändert. Der Verein, den er seit den 1950ern begleitet und bei dem er nahezu alle Spieler und jeden Verantwortlichen kennengelernt hatte: „Es gab so großartige Charaktere, aber leider auch Hasardeure und Blender.“ Er spürte diesen Wandel der Zeit „mit all seinen Vor- und Nachteilen.“ Sein Fazit: „Fußball ist nichts mehr für Romantiker. Fußball ist heutzutage Business.“ Ob er dies guthieß oder kritisierte, ließ Bierbaum dabei offen.
 
Als Dieter Bierbaum im November seinen 80. Geburtstag nachgefeiert hatte, waren viele Freunde und Wegbegleiter gekommen, um ihn hochleben zu lassen. Sichtlich gerührt war er, dass ihn an diesem Abend sein Heimatverein VfR Osterode aus dem Harz zum Ehrenmitglied ernannte. Dieter Bierbaum schien bester Dinge und sprach über viele Pläne, die er sich noch vorgenommen hatte. Keinen Monat später musste er sich jedoch ins Krankenhaus begeben, das er letztlich nie wieder verlassen sollte.
 
Fortuna nimmt in großer Trauer Abschied von Dieter Bierbaum.
Tief empfundenes Mitgefühl gilt seiner Frau Sabine und seinen Freunden.
Fortuna wird Dieter Bierbaum allzeit ein ehrendes Andenken bewahren.
In Erinnerung bleiben wird er als besondere Persönlichkeit, nicht nur wegen seiner Ansagen, die für immer unvergessen bleiben.

bundesliga.de

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