Oberdorfs kleines Fußball-Märchen
IM FOKUS: Innenverteidiger mit einer eindrucksvollen Entwicklung
Es ist möglicherweise keine „Geschichte, die nur der Fußball schreibt“, aber sicherlich doch eine ganz besondere: Im Jahr 2019 spielte Tim Oberdorf noch bei der TSG Sprockhövel in der Oberliga Westfalen – der fünfthöchsten deutschen Spielklasse. Damals war er bereits 22 Jahre alt. Eine baldige Profikarriere? Der Zug schien schon längst abgefahren. Und Oberdorf hatte selbst auch gar keine wirklichen Ambitionen, in diesen Zug einzusteigen. Am Ende kam es – wie so oft im Leben – anders als man denkt.
Ende 2021 ist Tim Oberdorf nämlich Fußballprofi bei der Fortuna, hat seine ersten acht Zweitliga-Spiele auf dem Konto und überzeugte dabei auf ganzer Linie. Mit heute 25 Jahren ist er ein Profifußball-Spätzünder. Andernorts gibt Bundesliga-Debüttanten im Alter von 16. Zur Saison 2019/20 wechselte Oberdorf zur Zwoten der Fortuna – der Innenverteidiger etablierte sich schnell und wurde 2020/21 sogar Kapitän der Mannschaft. Aber auch zu diesem Zeitpunkt war an eine Spätkarriere als Profi noch nicht wirklich zu denken. Neben dem Sport trieb er sein Lehramtsstudium voran: „Fußballprofi war nie mein Plan A. Ich nehme die Situation natürlich gerne so, wie sie jetzt ist. Ich freue mich riesig darüber.“
Aufgrund einer nicht immer ganz einfachen Personalsituation auf der Position des Innenverteidigers wurde Oberdorf von Cheftrainer Christian Preußer zum Sommertrainingslager der Profis nach Österreich eingeladen – und der 1,86-Meter-Mann war so gut, dass er auch darüber hinaus bleiben durfte. „Im Fußball haben gewisse Dinge auch mit Glück zu tun“, erklärte Oberdorf gestern im Rahmen des Fortuna Talks mit André Scheidt. Im Heimspiel gegen den Karlsruher SC am 11. Spieltag wurde er zum ersten Mal von Beginn an ins kalte Zweitliga-Wasser geschmissen – und das gegen einen Top-Stürmer wie Philipp Hofmann auf der anderen Seite. Oberdorf zeigte eine bärenstarke Leistung und verdiente sich so seine weiteren Startelf-Einsätze. „Ich versuche so zu spielen, wie ich es früher auch immer gemacht habe – auch wenn 2. Bundesliga und Regionalliga natürlich ein Unterschied ist. Aber am Ende des Tages ist es Fußball“, so Oberdorf. Anfang Dezember folgt mit seinem ersten Profivertrag, der bis 2024 datiert ist, die größte Belohnung. Die zukünftigen Schüler werden also wohl noch etwas warten müssen.
Auch am Samstag gegen den FC St. Pauli zeigte Oberdorf erneut, was in ihm steckt. Mehrere Male schaltete er Guido Burgstaller und Igor Matanovic mit seiner klasse Zweikampfführung aus – wie ein alter Hase. Zeitweise zeigte er sich sogar am gegnerischen Sechzehner und kam aus der Distanz einmal zum Abschluss – aber ein Schuss in den Winkel wäre dem Fußballgott dann aber womöglich doch ein Stück zu kitschig gewesen.
War mit so einer Entwicklung zu rechnen? „Ja, ich habe damit gerechnet, weil ich ihn fünf Monate lang im Training gesehen habe“, sagte Christian Preußer auf der Pressekonferenz nach der Partie gegen die Kiezkicker. „Tim ist klar in dem, was er macht und hört gut zu. Wir können uns auf ihn verlassen und ich bin sehr zufrieden. Wir dürfen nicht vergessen, wo er herkommt.“
Das wird Oberdorf sicher auch nicht. Und wenn demnächst ein paar besinnliche Tage mit seinen Liebsten anstehen, bleibt vielleicht auch mal etwas Zeit, um alles zu verarbeiten: „Es kann gut passieren, dass ich mich da mal kneifen muss“, sagt er. Absolut verständlich.